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Die Methode „Haus der Trauer“ für das Betrachten von intensiven, emotionalen Prozessen

Trauern ist ein natürlicher, individueller und ganzheitlicher Prozess, der eine starke emotionale Bindung zu einer Person, einem Ort oder einer Sache voraussetzt. Angst und Trauer haben viele Gesichter! Der Angst-Bewältigungs- und Trauer-Prozess ist deine Art der Heilung, um wieder Sicherheit, Klarheit, Ordnung und Struktur herzustellen, nachdem deine Welt von Grund auf erschüttert wurde. Deine neue Lebenssituation nach einem Verlust, sei es der Tod eines geliebten Menschen, einer Trennung oder des Zuhauses, können seelische und damit verbundene physische chronische Schmerzen verursachen. Dein Trauer Prozess kann Monate bis Jahre dauern, es gibt keine konkrete Timeline und auch kein Richtig oder Falsch. Besonders für Kinder und Jugendliche ist es oft schwierig, Trauer zu verstehen und ihre Gefühle auszudrücken. Pädagogische und therapeutische Methoden helfen dabei, diesen Prozess zu begleiten. Eine besonders anschauliche und weit verbreitete Methode ist das sogenannte „Haus der Trauer“, dass ein Bild für die Vielschichtigkeit der Trauer schafft.

 

Die Methode „Haus der Trauer“ stammt ursprünglich aus der Trauerpädagogik und wurde vor allem durch den griechisch-deutschen Psychologen und Trauerbegleiter Jorgos Canacakis (1941–2016) bekannt gemacht. Canacakis arbeitete in Griechenland und Deutschland und setzte sich intensiv mit der Begleitung trauernder Kinder, Jugendlicher und Erwachsener auseinander. Er suchte nach Wegen, wie Trauernden ihre Gefühle anschaulich erklärt und zugänglich gemacht werden können – ohne komplizierte Fachbegriffe, sondern mit einfachen, bildhaften Symbolen.

 

Das Bild vom „Haus“ entwickelte er, um zu zeigen, dass Trauer nicht nur aus Schmerz besteht, sondern viele verschiedene „Räume“ umfasst: Schmerz, Sehnsucht, Erinnerungen, Hoffnung und auch Momente der Entlastung. Jeder Mensch bewegt sich im Laufe seiner Trauer durch dieses Haus – mal im Keller, mal in anderen Räumen. Canacakis knüpfte mit dem Haus-Modell auch an die damals bekannten Trauerphasen-Modelle an (z. B. von Verena Kast oder Elisabeth Kübler-Ross), ging aber bewusst darüber hinaus. Denn er wollte zeigen, dass Trauer nicht starr in Phasen abläuft, sondern beweglich und individuell ist. Mit dem „Haus der Trauer“ schuf er ein flexibleres, lebensnahes Modell.

 

Eine weitere Darstellung und Analyse zum Thema Trauerarbeit und Trauerbewältigung findest du in dem Buch „Wenn die Liebe Trauer trägt. Was beim Abschiednehmen von einem lieben Menschen hilft“, von Britta Laubvogel und Jost Wetter-Parasie.

 

Hauptanliegen und Konzeption

Britta Laubvogel war selbst persönlich vom Verlust betroffen: Ihr Mann, der Pfarrer Matthias Laubvogel, starb 2006 an Lungenkrebs. Jost Wetter-Parasie ist Arzt, Psychotherapeut sowie Theologe und war ein Freund der Familie, und er war zugleich fachlich qualifiziert, um Trauerprozesse in ihrer Tiefe zu reflektieren. Die Grundidee ist, das subjektive Erleben von Trauer (durch Laubvogel) und die professionelle Perspektive (durch Wetter-Parasie) zu kombinieren, um einem lesenden Publikum sowohl Trost als auch Orientierung zu bieten. Wichtiger struktureller Ansatz: Die Metapher eines „Hauses der Trauer“ mit verschiedenen „Räumen“ (z. B. Raum des Schmerzes, Raum der Erinnerung, Raum der Liebe, Raum der Wandlung). Diese Räume sind kein starrer Ablauf, sondern es ist möglich, zwischen ihnen hin- und herzuwandern.

 

Wesentliche Gedanken und Einsichten

• Trauer ist kein linearer Weg!

• Man muss nicht zwingend Schritt für Schritt von Schmerz über Erinnerung zur Wandlung gehen. Vielmehr ist Trauer ein Prozess mit Rückschritten, Pausen und Schleifen.

• Die Räume des Hauses sind eher „Erlebnisräume“ die im geschützten Rahmen zur Reflexion tiefer Seelenthemen einladen und in denen man verweilen kann. Es geht nicht darum, schnell von einem Raum zum nächsten zu kommen, sondern offen zu sein für das, was gerade ansteht.

• Die Kraft der Erinnerung und Liebesbeziehung erfassen, begreifen und nutzen lernen. Erinnerung wird nicht als hinderlich gesehen, sondern als Teil des Weges. Auch die Beziehung zur verstorbenen Person bzw. zum Verlust bleibt lebendig, wenn auch in veränderter Form.

• Wandlung und neue Perspektiven können sich im Prozess ergeben. Ich arbeite daher gerne so flexibel wie möglich (Symbole und Bezeichnungen dürfen jederzeit verändert werden, um den innerlichen Wandel sichtbar zu machen). Die Wandlung soll aufzeigen, wie Trauer zur Veränderung führen kann und neue Lebensschritte möglich werden.

• Dabei werden mögliche Blockaden und Hürden betrachtet. „Was kommt dann? Wie sieht die Situation/Lebensumstände jetzt aus? Welche Konsequenzen ergeben sich dadurch? Was hindert mich an … und wo fällt es mir noch schwer …?“ Trauer kann mobilisieren, aber auch bremsen, je nach Situation und eigener Verfassung.

• Hoffnung, Spiritualität und Glaube spielen eine essenziellere Rolle, wenn es um den Umgang mit dem Tod eines geliebten Menschen geht. Die persönliche Sichtweise zum Thema Tod bekommt einen besonderen Platz im Prozess. Hilfreiche Elemente werden ausgearbeitet sowie Sorgen und Ängste besprochen. Der Raum „Garten der Sehnsucht“ spricht die Frage nach dem, was man nach dem Tod hoffen darf an und öffnet Perspektiven jenseits des rein Emotionalen.

 

Ähnlich, wie beim Modell von Canacakis kann sich der Klient durch verschiedene Räume seines Prozesses bewegen. Die Räume dürfen intuitiv benannt werden und es steht dem Klienten frei mit weiteren Begriffen, die auf kleine Zettel geschrieben werden oder Aufstellungsfiguren zu arbeiten. Im Vordergrund steht die Symbolkraft und die Betrachtung aus der Metaebene. Ziel ist es sich bewusst zu werden, welche Prozessaspekte im Moment vordergründig sind und welche Räume vielleicht noch „unberührt“ geblieben sind, aber wertvolle Ressourcen bieten können. Die spielerische Herangehensweise lässt dem Klienten frei seinen eigenen Prozess zu gestalten und kann bereits hilfreiche Lösungsmodell für weitere gangbare Schritte bieten. So kann der Klient jederzeit Symbole entfernen und neue hinzufügen, bis das Gesamtbild stimmig ist und das Gefühl der Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit zunimmt. Im „eigenen Haus“ können zudem leichter neue „Hausregeln“ und hilfreiche „Rituale“ gestaltet werden, die den Alltag mit Trauer erleichtern können (z.B. hinzufügen von Symbolen für hilfreiche Freunde, erwünschte Energien, Hobbys, Möglichkeiten, die begünstigt werden sollen, etc.). Das Modell macht deutlich: Trauer ist kein geradliniger Prozess mit klaren Phasen, die nacheinander abgeschlossen werden. Stattdessen gleicht Trauer einem Haus mit vielen verschiedenen Räumen, manche erscheinen dunkel, andere lichtvoll oder noch unbekannt. Jeder Raum steht für bestimmte Gefühle, Erfahrungen und Bedürfnisse, die während des Trauerns auftreten können. Trauernde bewegen sich zwischen diesen Räumen hin und her. Mal sind sie im „Keller“, voller Schmerz und Verzweiflung, ein anderes Mal finden sie sich in einem Raum der Ruhe oder der Hoffnung wieder. Das zeigt: Alles, was Trauernde empfinden, ist normal und gehört zum „Haus der Trauer“ dazu.

 


AUFBAU DES HAUSES

Das Haus besteht aus mehreren symbolischen Räumen:

 

  • Der Keller (Schutzraum)

Hier können Gefühle wie Verzweiflung, Wut, Traurigkeit, Ohnmacht oder Leere wohnen. Trauernde fühlen sich in diesem Raum oft gefangen, kraftlos und ohne Ausweg (Schmerz und Dunkelheit). Dennoch ist er wichtig, weil er den Verlust in seiner ganzen Schwere sichtbar macht. Ein anderes Gefühl kann der Wunsch nach Abschottung, sich ein Stück vor der Außenwelt verstecken zu können und totaler Rückzug sein. Die Dunkelheit des Kellers muss nicht zwingend negativ bewertet werden. Im Schutz des Untergrundes kann auch eine Auszeit vom üblichen Alltag genommen werden und bestimmte Gefühle aufbewahrt werden, bis diese ans Tageslicht brechen wollen. Das Aufbrechen kann allerdings wie ein Schub, mit Wucht und Nachdruck, als Überwältigung empfunden werden. Hier hat der Klient einen „massiven Schutzraum“ für seine Schattenthemen.

 

  • Das Zimmer der Erinnerungen

In diesem Raum sind Fotos, Gegenstände oder Gedanken an den Verstorbenen präsent. Es geht darum, das Andenken zu bewahren und eine neue, innere Beziehung zum Verstorbenen zu entwickeln: „Er oder sie ist nicht mehr da, aber bleibt in meinen Erinnerungen lebendig.“ Hier wird Trauer zeitlos. Der Klient hat die Möglichkeit seinen erlebten Verlust durch Symbole und Rituale Raum zu schenken. Ideen für die Umsetzung im Alltag können einfließen (z.B. Aufräumen und einen bestimmten Platz im Lebensraum für das Andenken schaffen, die Trauer mit auf Reisen nehmen und mit gegenwärtigen Freudespuren verknüpfen lernen, Rituale für Achtsamkeit – z.B. Kerze anzünden und den eigenen Gedanken und Gefühlen bewusst Aufmerksamkeit schenken, etc.)

 

  • Das Zimmer der Sehnsucht

Hier spüren die Trauernden den schmerzhaften Wunsch nach dem Menschen, den sie verloren haben oder dem, was nun im Leben verloren gegangen ist. Es ist der Ort des Vermissens, der unerfüllten Wünsche und Fragen wie: „Wie wäre es, wenn er oder sie noch hier wäre? Wie könnte mein Leben aussehen, wenn dies oder das noch Teil von mir wäre? Was würde dann anders sein oder wie würde ich mich dann verhalten? Welche Möglichkeiten hätte ich noch?“ Verlust bedeutet, dass sich unsere Bedürfnisse nicht mehr auf die gewohnte Weise erfüllen können und anders betrachtet und befriedigt werden müssen. Trauernde berichten vom Schmerz der Fehlenden Wärme/Zärtlichkeit, vom Verlust liebgewonnener Gewohnheiten, die zuvor mit jemanden geteilt werden konnten oder dass Sehnsucht sich plötzlich „kalt und hoffnungslos“ anfühlt, da die Sehnsucht „umsonst“ geworden scheint. Die entstandene Lücke kann sich durch das Aufstellen „neuer Sehnsüchte“ zu wandeln beginnen und Perspektiven für eine zuversichtliche Lebensreise schaffen (z.B. aus der Sehnsucht nach dem nächsten gemeinsamen Urlaub, wird die Sehnsucht nach dem Meer. Das Meer ist erreichbar und die Sehnsucht lässt sich leichter erfüllen).

 

  • Das Zimmer der Ruhe, Ablenkung und Liebe

In diesem Raum finden Trauernde Momente der Entlastung. Sie lachen wieder, treffen Freunde oder widmen sich Hobbys. Oft haben Menschen Schuldgefühle, wenn sie sich in diesem Raum aufhalten – doch das Modell verdeutlicht: Auch Erholung und Leichtigkeit gehören zur Trauer. Hier finden besondere Werte und Bedürfnisse ihren Platz. „Ich möchte mich wieder geliebt fühlen! Mich zu spüren, Freude zu empfinden, tut mir gut und lässt mein wahres Ich wieder strahlen! Meine Neugierde auf das Leben ist spürbar! Dass ich lebe und gesund bin ist ein Geschenk!“ Ambivalenz darf sein und kann in diesem Raum gelebt werden.

 

  • Das Zimmer der Hoffnung, Zukunft und Wandlung

Dieser Raum symbolisiert die Möglichkeit, langsam wieder Perspektiven für das eigene Leben zu entwickeln. Es bedeutet nicht, den Verstorbenen zu vergessen, sondern zu lernen, mit der Lücke zu leben und gleichzeitig neue Schritte ins Leben zu gehen. Das eigene Selbst wird präsenter und (neue) Bedürfnisse deutlich spürbarer. Hier können Visionen für das Weiterleben gebildet werden.

 

Bewegung im Haus

Niemand bleibt immer in einem einzigen Raum. Menschen in Trauer wechseln ständig zwischen den Räumen. Diese Bewegungen sind weder vorhersehbar noch planbar, sie können von Tag zu Tag oder sogar innerhalb weniger Stunden und Minuten wechseln. Genau das macht Trauer oft so verwirrend. Das Modell vermittelt: Es ist normal, hin- und herzugehen – und jeder Mensch darf sein eigenes Tempo haben. Das „Haus der Trauer“ will Trauernden Mut machen und Orientierung geben: Es zeigt, dass alle Gefühle erlaubt sind. Es macht deutlich, dass Trauer individuell ist – niemand muss so trauern wie andere. Es hilft, das Erlebte zu strukturieren und zu benennen. Es entlastet, weil Trauernde erkennen: „Ich bin nicht falsch oder komisch, wenn ich heute lache und morgen wieder weine.“ So entsteht ein Gespräch, das Gefühle sichtbar macht und neue Zugänge zum Trauerprozess eröffnet.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das „Haus der Trauer“ eine hilfreiche Methode ist, um die Komplexität des Trauerprozesses zu veranschaulichen. Es vermittelt, dass Trauer kein geradliniger Weg ist, sondern ein Wechselspiel verschiedener Gefühle. Durch das Bild eines Hauses wird Trauer strukturiert und verständlich dargestellt. Die Methode bietet Betroffenen Halt und entlastet sie von dem Druck, „richtig“ trauern zu müssen. Damit stellt das „Haus der Trauer“ ein wertvolles Werkzeug in der pädagogischen und therapeutischen Begleitung dar, das Orientierung, Verständnis und Hoffnung schenkt.

 

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