Empty-Nest Syndrom – Umgang mit der post-parentalen Lebensphase und dem damit verbundenen großen Neubeginn
- Sabrina Berger

- 23. Okt.
- 8 Min. Lesezeit
Mit dem Begriff „Emty-Nest-Syndrom" (ENS, engl. „leeres Nest“ Syndrom) wird ein Gefühl bzw. eine andauernde Gefühlslage, begleitet von Traurigkeit, Sinnlosigkeit, Einsamkeit und Leere, beschrieben, die sich bei einem Elternteil einstellen kann, nachdem das letzte (oder einzige) Kind das elterliche Zuhause verlassen hat oder sich von seinen Eltern „abnabelt“ und beginnt ein selbstständiges Leben aufzubauen. Obwohl der Übergang in eine andere Lebensphase, Stimmung und Lebensqualität anders empfunden wird und von verschiedenen Faktoren abhängt, ist ENS an sich keine psychische Störung oder Krankheit, sondern die Folge eines natürlichen Lebensereignisses, das es zu bewältigen gilt. Die Anpassung an die neue Lebensphase kann mit Hürden verbunden sein, mit denen sich der Elternteil zuvor nicht befassen musste oder wollte. Beispielsweise kann das Aufstocken des Arbeitsausmaßes bzw. Arbeitsumfangs, dem Suchen neuer sozialer Kontakte, dem Umgang mit dem Gefühl der Einsamkeit in den Stunden, die man plötzlich allein verbringen muss oder mit Selbstreflexion, Persönlichkeitsentwicklung und Sinnsuche im Raum stehen. Vielen fällt auch das Ablegen von Gewohnheiten und vertrauten Tagesabläufen schwer. Niemand gibt konkret vor, was jetzt zu tun ist oder wichtig im Leben sein kann. Der Erziehungsauftrag stand jahrelang im Lebensmittelpunkt. Sich diesem Auftrag ein Stück unterzuordnen und die eigenen Bedürfnisse den Lebensumständen der Familiensituation anzupassen, galt jahrelang für normal. Der neugewonnene Freiraum könnte nun als Geschenk an die persönlichen Freiheiten gesehen werden, dennoch empfinden Elternteile mit ENS genau das Gegenteil. Sie wünschen sich das Vertraute zurück und haben Schwierigkeiten sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Hier kann hinzukommen, dass sich ein Kind viel schneller in neue Lebensabschnitte einfügen kann und der Elternteil mehr Zeit braucht neue Freundschaften, Tätigkeiten, Tagesabläufe und Ressourcen aufzubauen. Umbrüche haben unterschiedliche Zeit-Linien je nach Lebensalter und Lebensumstände. ENS-Betroffene empfinden den Übergang als Gefühl des „Zurückbleibens“ und finden schwer Anschluss an neue, mögliche Lebenswege.

1. Warum die Umstellung so schwer sein kann
Die persönliche Identität war stark an die Elternrolle und den damit verbundenen Aufgaben gebunden. Grundsätzlich ist die Identifikation mit der Elternrolle von Vorteil, verkümmern dabei aber die parallelen Lebensrollen, die ebenso wichtig für ein gesundes Ich sind, wird es schwer Zugang zu den eigenen Bedürfnissen zu erlangen. Viele Jahre lang war der Alltag strukturiert durch die Bedürfnisse der Kinder. Nun gibt es keine Vorgabe mehr, was man mit seiner Zeit anfangen kann und was sinnvoll ist und wo man gebraucht wird. Sätze wie „Ich fühle mich so nutzlos!“, „Ich weiß gar nichts mit mir anzufangen!“, oder „Jetzt soll ich so tun, als wäre alles, was ich geleistet habe, nicht mehr nötig!“, sind völlig normal. Die tägliche Bestätigung fällt weg. Die kleinen Momente wie „Mama, wo ist mein …?“ oder „Papa, wann fahren wir …?“, sind im Alltag vielleicht anstrengend, aber sie geben auch das Gefühl, gebraucht zu werden. Mehr Zeit kann befreiend, aber auch überwältigend sein, wenn man nicht weiß, wie man sie füllen soll. Auch der Verlust von sozialen Anlässen, wie Kontakt zu anderen Eltern, Schulaktivitäten oder Feste, die das Kind mit Freunden und seinen Eltern feiern wollte, brechen plötzlich weg. Das sind wichtige „Lichtmomente“ für Eltern, die das Familienleben lebendig machen. Eltern fällt es allgemein leichter, wenn das Kind eine Ausbildung, Fortbildung oder einen Studienplatz antritt, als wenn das Kind für die Aufnahme einer Arbeitsstelle das Nest verlässt oder dem Wunsch des Gründens eines eigenen Hausstandes nachgeht. Hier spielt das Gefühl eine Rolle, ob das Kind noch einen fixen Platz im Alltagsgeschehen einnimmt (z.B. regelmäßige Rückkehr in das „Kinderzimmer“ und elterliche Zuhause) oder sich sein eigenes Leben mit einem eigenständigen Hausstand aufbaut.
2. So viele Gedanken und Gefühle
Der betroffene Elternteil kann in eine sogenannte „Übergangskrise“ schlittern, ähnlich wie bei einem Jobverlust, Ruhestand oder ähnlichen Verlusten, die eine Phase der Trauer auslösen. Eine Lebensaufgabe fällt weg, und das Gehirn braucht Zeit, eine neue Sinnstruktur aufzubauen, die sinnstiftend ist und innere Stabilität bietet. Im Trauerprozess besteht die Gefahr der „Grübel-Spirale oder Over Thinking“ (Gedankenkreisen, ohne Ergebnis). Ohne feste Aufgabe und physisch-mentale Struktur richtet sich der Blick nach innen, oft auf Mängel statt auf Möglichkeiten, was der mentalen und psychischen Gesundheit schaden kann (Anhaftung von „Scheuklappen“; der Betroffene kann an nichts anders mehr denken oder andere Aspekte sowie Impulse wahrnehmen; neue Ideen, Ziele und Pläne sind blockiert und es fehlt an Perspektive, was das „alt bewährte“ noch attraktiver macht; ein nach vorne blicken wir dadurch noch schwerer und es entsteht eine innere Abwehr gegen das neue Unbekannte, selbst, wenn die Zukunft neue Lebensqualitäten und Ressourcen beinhaltet). Mehr Zeit zu haben kann auch bedeuten, dass die Innenwelt „lauter und deutlicher spürbar“ wird, was Betroffene überfordern kann. Wie du mit den präsenten Impulsen umgehen möchtest, liegt an dir, hier gibt es mehrere Möglichkeiten für deine Persönlichkeitsentwicklung (Mediation, Mentaltraining, Selbstreflexion, Arbeit mit Kartendecks, Austausch mit anderen Betroffenen oder Personen, die diese Lebensphase bereits bewältigt haben, Bewegung mit dem Ziel, deinen Geist zu strukturieren – Fokussierung auf das Wesentliche, Schreiben, Musik hören, etc.). An dieser Stelle kann dir eine sinnorientierte Ziele- und Ressourcenarbeit helfen eine neue Basis für dein Leben aufzubauen.
3. Entwicklung neuer Lebensrollen
Die Schwierigkeit bei der Entwicklung neuer Lebensrollen bei ENS ist, dass du bestimmte Anteile deiner Elternrolle beibehalten wirst und neue Anteile hinzukommen – ähnlich wie bei einem Update. Welche müssen den Lebensumständen entsprechend verabschiedet werden und welche neuen, noch unbekannten dürfen aufgebaut werden? Es gibt ja keine konkrete Vorgabe oder einen Fahrplan für die neuen Umstände! Probiere aus, beobachte, spüre und reflektiere deine Schritte. Was war erfolgreich? Was nicht? Hat sich für dich und dein Kind stimmig angefühlt? Ist ein authentischer Teil von dir und deinem Wesen? Sei dir bewusst, dass du dich seit vielen Jahren im stetigen Wandel und im Update deiner Elternrolle befindest. Das Loslassen und der Neubeginn sind bereits deine vertrauten Freunde! Nun geht es um einen größeren Schritt im Wandel deiner Rolle und dir stehen mehr Möglichkeiten zur Verfügung.
Frage dich an dieser Stelle: „Wer bin ich und wer möchte ich sein? Was möchte ich mit der gewonnenen Zeit anfangen, ohne das Gefühl zu haben, unwichtig geworden zu sein? Was schenkt mir innerlich glückhafte Momente, unabhängig von meiner bisherigen Tätigkeit? Wie geht es mir mit dem Mangel an Informationen und die zunehmende Privatsphäre meines Kindes? Wo liegen jetzt die Grenzen und wie viel Engagement und Interesse ist für mein Kind noch hilfreich?“ Es ist eine Sache dein Kind loszulassen und eine andere auch weiterhin Interesse zu zeigen. Manche Kinder wünschen sich insgeheim, dass ihre Eltern gelegentlich etwas „nachbohren“ oder „um sie kämpfen“ in einer Zeit, wo es ihnen selbst schwerfällt die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Ein bisschen „lästig sein“ darf sein, sofern die vereinbarten Grenzen gewahrt werden und das Gefühl von „du bist mir ein Leben lang wichtig“, genährt wird.
4. Mentale Perspektiven aufbauen
Das Gefühl von „Nichts mehr mit mir anfangen zu können“ ist meist nicht das Endstadium, sondern ein Übergangszustand, in dem das alte Sinnsystem wegfällt, aber das neue noch nicht aufgebaut ist. Psychologisch betrachtet ist es ein kritischer, aber auch kreativer Moment: Man hat mehr Freiheit als vorher – und genau diese Leere kann der Raum sein, in dem eine zweite Lebensphase beginnt. Hier kann ich dir ein 4-wöchiges Programm für den Aufbau neuer Perspektiven empfehlen:
Das Programm kann dir auch in einem ähnlichen Fall, beispielsweise im Zuge eines Trauerprozesses (z.B. Verlust eines geliebten Menschen oder Haustieres, einer erfüllenden Tätigkeit, oder den gewohnten sozialen Strukturen nach einem Umzug) helfen.

WOCHE 1 – Innenschau & Bestandsaufnahme
Ziel: Erkenne deinen gegenwärtigen Standpunkt und was dich früher erfüllt hat (Rückkopplung verlorener Seelenanteile, Persönlichkeitsentwicklung durch Selbstreflexion deiner inneren Anteile und Zugang zu deinen Bedürfnissen schaffen)
Tägliche 10-Minuten-Selbstreflexion
Schreib auf: Was habe ich in meinem Leben besonders gerne getan – vor und während der Kinderzeit? Beschreibe genau, was dir diese Tätigkeit innerlich geschenkt hat und welchen Sinn du darin gesehen hast. Zusätzlich kannst du dich in dieser Rolle/Tätigkeit vor deinem geistigen Auge visualisieren und dich selbst beschreiben. Was war damals anders an dir?
Gefühle benennen
Notiere jeden Abend 3 Wörter, die deinen Tag beschreiben (z.B. „einsam, ruhig, angespannt“, oder „neugierig, ängstlich, unsicher“). Das schafft Bewusstsein für deine dahinter verborgenen Grundbedürfnisse (das kann z.B. Sicherheit, Beständigkeit, Geselligkeit, etc. sein)
Kleine Selbstfürsorge-Rituale einführen
Spaziergang, Musik hören, warmes Bad, genussvoll Essen – egal was es ist, Hauptsache es erfüllt dich mit einem gesunden „Selfe Care Gefühl“ und du findest Zugang zu deiner Selbstwirksamkeit und Selbstregulation.
WOCHE 2 – Werte & Wünsche sortieren
Ziel: Finde heraus und definiere, was dich motiviert und deine Lebensbasis bildet, auf die du aufbauen kannst.
Werteliste erstellen
Wähle aus einer Liste von Werten deine Top 5 aus (z.B. Kreativität, Sicherheit, Gemeinschaft, Abenteuer, etc., siehe Liste zum Ausdrucken. Nimm dir genügend Zeit, um deine gewählten Werte mit greifbaren Lebensaspekten zu verbinden, indem du diese genauer betrachtest. „Warum ist mir … besonders wichtig? In welchen Situationen wünsche ich mir … am meisten? Was habe ich erlebt/wurde mir beigebracht, dass … für mich so besonders ist? Wie fördere ich … in meinem Leben?“)
Sinn-Momente erkennen
Achte bewusst auf Situationen, in denen du dich lebendig oder nützlich fühlst – auch wenn sie klein sind. Beobachte dabei, wie sich deine Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen bei deiner sinnstiftenden Tätigkeit verhalten (den tieferen Sinn verleihst du selbst deinem Tun!). Es geht um genau dieses Hochgefühl und den nährenden Aspekt für deine Seele.
Erste Öffnung nach außen
Kontaktiere eine Person, die dir spontan einfällt, wenn du an eine gegenseitige bereichernde Begegnung denkst. Jemand, der sich für dich und deine Lebensgeschichte interessiert und ein Ausgleichsbewusstsein besitzt (Zuhören und Erzählen in Balance). Überlege dir einen passenden Rahmen für die Begegnung und zelebriere den „heiligen Raum“, der zwischen dir und deinem Gegenüber entstehen darf. Begegnung ist ein Geschenk, welches deinen Geist für neue Impulse und Sichtweisen öffnet.
Woche 3 – Ausprobieren & Experimentieren
Ziel: Aktiv neue Inputs schaffen, ohne Druck, dass „es gleich das Richtige“ sein muss.
Aktivitäten testen
Suche dir zwei neue Aktivitäten, die du gerne ausprobieren möchtest und zwei altbekannte, die du gerne wieder in deinem Leben integrieren möchtest. Was würde dir Spaß machen oder hast du früher gerne getan?
Sozialen Raum erweitern
Eine Gruppe von Gleichgesinnten mit einem gemeinsamen Ziel kann dir bei der Prävention gegen Einsamkeitsgefühle helfen und deinem Tun einen tieferen Sinn verleihen (z.B. Seminar, Sport, Buch Club, Verein, etc.). Du kannst online oder in Präsenz einer Gruppe beitreten. Es geht um Austausch, Ansprache, gesehen und gehört werden.
Mini-Projekt starten
Etwas, das in 1–2 Wochen fertig ist (z.B. Fotoalbum gestalten, kleinen Kräutergarten anlegen, Kurzgeschichte schreiben, Stil Veränderung, Kleiderschrank ausmisten, etc.). Bring frischen Wind in dein Leben und integriere neue, erbauliche, motivierende Impulse, die dir Freude bereiten.
Woche 4 – Sinnstruktur festigen
Ziel: Aus dem „Herumprobieren“ eine erste, regelmäßige Struktur entwickeln. Jetzt kannst du eine konkrete Vision und Perspektive für dein weiteres Leben gestalten.
Lieblingsaktivitäten auswählen
Aus Woche 3: Was hat dir Freude gemacht oder dich inspiriert? Wo hast du dich wiedergefunden? Welcher Lebensstil ergibt sich daraus? Definiere deinen neuen Lebensabschnitt und beginne diesen zu festigen oder noch weiter auszubauen.
Wochenplan erstellen
Mindestens 2 fixe Termine pro Woche für deine neuen Aktivitäten oder sozialen Kontakte. Dein „seelischer Ausgleich“ sollte genauso wichtig sein, wie jeder andere verpflichtende Termin. Festige das Gefühl gebraucht zu werden, auch wenn du dir einfach Zeit für dich nimmst!
Langfristiges Ziel definieren
Etwas, das dich über mehrere Monate trägt (z.B. Sprache lernen, Reiseziele festlegen, ein kreatives Projekt, regelmäßiges Engagement, Alltags-Rituale, die eine Vorbereitung benötigen – gemeinsam kochen, ins Kino gehen, einem Stammtisch beitreten, etc.).
Affirmation: „Voller Freude über meinen neuen Lebensabschnitt lasse ich alles, was für mich jetzt bestimmt ist, auf mich zukommen. Ich bin offen für Überraschungen, neue Möglichkeiten und Wege, Inspirationen und Begegnungen, die mir neue Perspektiven und Strukturen anbieten. Der natürliche Lebens-Flow beginnt mein Leben umzugestalten, damit ich wieder erfüllende, sinnhafte und glückliche Lebensfelder schaffen kann.“
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